Windenergie & Artenschutz
Gegenwind vom EuGH
Ohne Windkraft, keine Energiewende – doch die Genehmigung von Windkraftnlagen scheitert oft am Artenschutz. Nun hat der europäische Gerichtshof entschieden: Auch künftig kann zum Schutz einzelner Tiere, der Bau von Windparkanlagen verhindert werden.
Der Corona-Lockdown hat den Windkraftgegnern in Krackow-Battinstahl, einer kleinen Gemeinde im südöstlichsten Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern, nur vorübergehend den Wind aus den Segeln genommen. Im Herbst 2020 formt sich erneuter Protest: Gut einhundert Bürger kommen für eine Mahnwache zusammen, um gegen die vier sich im Bau befindenden Windkraftanlagen zu demonstrieren. Die Gründe könnten unterschiedlicher nicht sein: Lärm, Angst vor sinkenden Grundstückpreisen und eine tierische Sensation. Im Frühjahr wurde im Windpark ein brütendes Rotmilan-Paar entdeckt. Die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs vergangene Woche dürfte vor allem Naturschützern neuen Aufwind geben. Das Gericht entschied: Nach wie vor sollen einzelne Vögel und Brutpaare geschützt werden. Es genügt nicht, dass die Population insgesamt erhalten bleibt. Das hatte Generalanwältin Juliane Kokott vorgeschlagen, vor allem um die langen Planungs-und Genehmigungsverfahren zu verkürzen und damit die Energiewende voranzutreiben. Mit dem Urteil des bleibt es nun beim Alten. Und damit beim Stillstand.
Windkraftausbau stockt
Bis 2050 soll in Deutschland Strom aus erneuerbarer Energie gewonnen werden. Wie das Statistische Bundesamt im März 2021 bilanziert, ist der richtigen Weg eingeschlagen: Im vergangenen Jahr wurde gut ein Viertel der eingespeisten Strommenge durch Windkraft erzeugt. Zum ersten Mal löste damit die Windkraft Kohle als wichtigsten Energieträger ab. Doch laut Bundesverband Windenergie (BWE), einem Fachverband der Windenergiebranche, werden derzeit Anlagen für 9.400 MW nicht umgesetzt, obwohl die Kapazitäten da wären. „Bund und Länder müssen mit den Betroffenen zügig Lösungen erarbeiten. Ohne diese blockierten Windenergieprojekte sind die Pariser Klimaschutzziele nur schwerlich zu halten“, fordert Hermann Albers, Präsident des BWE. Durch die Entscheidung des Gerichts sei die Energiewende in Gefahr.
Energiewende nur mit Naturschtz
Naturschutzverbände wie NABU und die Deutsche Stiftung Wildtiere sehen vor allem Vögel und Fledermäuse in Gefahr. Besonders Zugvögel und Greifvögel, wie Mäusebussard und Rotmilan, sind stark gefährdet. Im Norden Deutschlands ist die Population der Mäusebussarde um 70 % geschrumpft. „Für den Rotmilan trägt Deutschland eine weltweite Verantwortung, da 40 % seines Bestandes in Deutschland brüten“, so Hermann Schultz, NABU Schleswig-Holstein. Eine detaillierte Studie des Dachverbands Deutscher Avifaunisten konnte bis in den kleinsten Landkreis nachweisen, dass gerade dort, wo sich die Windkraftanlagen konzentrieren, die Bestände des Milans dramatisch zurückgingen.
Abstandsregel reicht nicht
Die Mitte 2020 von der Bundesregierung beschlossene Abstandsregel von Windrädern zu Ortschaften greift für Naturschutzverbände zu kurz. Gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen erarbeitete der NABU mögliche Maßnahmen, die Naturschutz und Energiewende gleichermaßen gerecht werden. Um langen Planungs- und Genehmigungsverfahren und Rechtsstreitigkeiten im Vorfeld zu verhindern, ist eine übergeordnete Raumplanung wichtig, die neben benötigten Strommengen auch Gebiete von windenergiesensiblen Vogelarten berücksichtigt. Artenschutzrechtliche Ausnahmen sollen genauso möglich sein, wenn sie durch Artenhilfsprogramme kompensiert werden. Auf der anderen Seite sollen für den Artenschutz kritische Altanlagen stillgelegt werden können.
Ein Vorbild? Kompromiss in Vorpommern
Dass Naturschutz und Energiewende sich nicht ausschließen, zeigt das Beispiel in Krackow-Battinsthal: Wenn das Rotmilan-Paar hier im Frühling brütet, stehen die Windräder still. Abgeschaltet werden die Anlagen des Windparks ab März in den Tagesstunden, also dann, wenn der Rotmilan brütet und seine Jungtiere aufzieht.